
Beim üblichen Brötchenkauf im Späti nebenan kamen der Verkäufer und
ich zwangsläufig über die Ereignisse in Frankreich ins Gespräch und automatisch
begab sich mein muslimisches Gegenüber in eine Position, in welcher er sich
hätte rechtfertigen müssen einer Gruppe anzugehören, die dieser Tat schuldig
sei.
Es gibt nicht nur die Opfer in Frankreich. Nein. Wir alle
sind Opfer und müssen nun über die Konsequenzen nachdenken. Der Generalverdacht
ist vor unserer Haustür angekommen und wir alle müssen an uns arbeiten. Ich
nehme erschrocken meine Schrippen und den Tagesspiegel mit, in welchem ich zehn
Karikaturen und eine fast als Randnotiz wahrzunehmende Meldung über Ralph König
finde. Der Comickünstler hatte eine
kürzlich über Facebook gepostete Karikatur wieder gelöscht und das schlimme
ist, ich kann seiner Argumentation folgen (hier ist der Artikel deutlich ausführlicher online).
Plötzlich wirken die Karikaturen der zehn Berliner und die Anmerkungen der Redaktion zu
den Künstlern wie Zielscheiben. Was
passiert hier? Was ist mit mir und dem Rest der Welt geschehen?
Ich habe ein ganzes Zimmer mit vollen Regalen. Alles Comics. Jede Geschichte, jede Zeichnung ist
einzigartig. Autoren und Zeichner jeglicher Herkunft sind darunter zu finden.
Kulturkreise treffen auf politische Regime, religiöse Ansichten, soziale Schichten
und sind gleichzeitig ein historisches Zeitdokument. Ich möchte diese Vielfalt
nicht missen. Nur so kann ich lernen, kennenlernen, Verständnis entwickeln,
mich weiterentwickeln, dazu beitragen das die Welt ein kleines Stück besser
wird.
Ich Gedenke nicht den Mordopfern allein, sondern bin in
Gedanken an alle da draußen, die in Zweifel an der kulturellen Vielfalt
geraten. Überprüft euren Kompass. Versetzt euch in die Lage eines jeden
Protagonisten, wie ihr es auch beim Comic lesen tut. Betrachte seine Origin,
seine Beweggründe. Lies auch im leeren Raum zwischen den Panels. Heute wie
früher sind wir alle die Protagonisten, die die Geschichte unserer Zeit
erzählen und auf welcher Seite dieses Buches wird man dich finden?
Ich bin nicht Charlie, genauso wenig wie „Yes we can“ und „Seid
bereit, immer bereit“ meine Lebenseinstellung wiederspiegeln. Bis zu den ersten
Berichten in den Medien kannte ich Charlie Hebdo nicht und zugegebener Maßen
kenne ich auch das Gegenüber nicht gut genug, doch wenn man die Geschichte
rational runterbricht, dann können 2000 Jahre Religionskriege nicht im Sinne
von einem Gott, von einem Messias, einem Propheten oder in unser aller Sinne
sein. Ohne Religion im Umfeld aufgewachsen, kann ich bis heute dieses
Lebenskonzept nicht verstehen, doch die preußischen Werte von „Jeder nach
seiner Fasson“ prägen bis heute mein moralisches Werteverständnis. Ich spreche
mich keineswegs frei in bestimmten Situationen auch hier in meinem Glauben an
die Grenzen gekommen zu sein, aus Sicht anderer diese auch schon übertreten zu
haben, doch das heißt nur, das ich an mir arbeiten muss. Ich werde immer wieder
in meinem Glauben geprüft und dafür reichen ein paar Schritte vor die Haustür
am Sonntagmorgen um Brötchen zu holen.